Hans Heinrich Pfalzgraf

* 1. Februar 1888 Merzhausen
† 10. August 1955 Hannover

von Sylvain Hodvina

Hans Pfalzgraf

Hans Heinrich Pfalzgraf wurde als jüngstes Kind des Landwirts Johannes Pfalzgraf (* 10. Dezember 1825 Merzhausen, † 22. Mai 1900 Merzhausen) und dessen zweiter Ehefrau Anna Elisabeth Kehl (* 14. August 1848 Ascherode, † 24. Dezember 1906 Merzhausen) in Merzhausen geboren. Seine Geschwister waren Johannes (1871‒1936), Heinrich (1872‒1890), Martha Elisabeth (1875‒1945) und Johann Georg (1878‒1943). Aus der ersten Ehe seines Vaters mit Katharina Pfalzgraf (1836‒1869) hatte er noch die Stiefgeschwister Johann Adam (1861‒1862), Wilhelm (1863‒1923), Barbara Elisabeth (1865‒1941) und Anna Katharina (1869‒1902).

Nach dem Besuch der Volksschule Merzhausen von Ostern 1894 bis Ostern 1900 absolvierte er zwei weitere Jahre bis Ostern 1902 auf der Stadtschule Treysa. Danach trat er in die Königliche Präparandenanstalt Herborn ein, die als untere Stufe der Volksschullehrerausbildung diente und auf den Besuch der Lehrerseminare vorbereitete. Ab Herbst 1905 setzte er seine Ausbildung am im gleichen Jahr gegründeten Lehrerseminar Frankenberg fort (seit 1925 Gymnasium Edertalschule). Im Jahre 1908 absolvierte er in Frankenberg die erste Lehrerprüfung. Anschließend leistete er bis Herbst 1909 seinen Militärdienst in Erfurt ab. Im Herbst 1909 wurde er als zweiter Lehrer an der Volksschule in Merzhausen angestellt und blieb dort bis zur zweiten Lehrerprüfung in Frankenberg mit Fortbildungsfach Naturkunde im Jahre 1911.

Am 20. April 1911 heiratete Hans Pfalzgraf in Lorsbach die Auguste Elise Kräckmann (* 20. Dezember 1885 Lorsbach, † 23. Februar 1952 Stade), Tochter des Mühlenbesitzers Franz Kräckmann (* 26. Mai 1832 Lorsbach, † 25. Juli 1905 Lorsbach) und der Susanna Clot (* 17. September 1850 Pinache, † 20. Juni 1914 Lorsbach). Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: Konrad Hans Walter (1913‒>1971) und Martha Susanna Ursula (1914‒2003).

Durch den Direktor der Landwirtschaftsschule Weilburg, den Lehrer und Bryologen Johann Heinrich Emil Felix Kienitz-Gerloff (1851‒1914) wurde Hans Pfalzgraf während eines Lehrgangs an der Landwirtschaftsschule im Jahre 1910 angeregt, sich eingehender mit der Naturkunde zu beschäftigen. Seit Januar 1914 war er Mitglied im Verein für Naturkunde zu Kassel. Von 1911 bis 1924 war Hans Pfalzgraf Lehrer an der einklassigen Dorfschule in Wellingerode, unterbrochen durch seine Militärzeit während des ersten Weltkrieges von 1914 bis 1918, die er in der Kasseler Garnison verbrachte. Im Jahre 1921 legte er in Kassel die Mittelschullehrerprüfung für die Fächer Biologie, Physik, Chemie und Mineralogie ab und wechselte Mitte August 1924 auf die Mittelschule in Witzenhausen, wo er 1929 zum Konrektor befördert wurde. 1930 folgte noch eine Ergänzungsprüfung in Kassel für Latein und Mathematik.

Nach dem 1. Weltkrieg begann er in seiner Freizeit mit floristischen Studien, wobei er sich zunächst den Phanerogamen und später auch den Kryptogamen widmete, um sich schließlich ganz auf die Moose zu beschränken. Schon vor seinem Studium nutzte er das Göttinger Herbar, das Friedrich August Georg Bitter (1873‒1927) unterstand, der seit 1923 Direktor des Botanischen Gartens in Göttingen war. Seine bryologischen Funde teilte er dem Kasseler Arzt und Botaniker Friedrich Wilhelm Albrecht Arnold Grimme (1868‒1958) mit, der in zwei Beiträgen zur Laubmoosflora Niederhessens und zu den Torf- und Laubmoosen des Hessischen Berglandes zahlreiche Nachweise von Pfalzgraf anführte, darunter auch Erstnachweise für Hessen.

Handschrift Hans Pfalzgraf 1927 konnte er im durch die Eisenbahn günstig zu erreichenden Göttingen nebenher ein Studium an der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät (Botanisches Institut) in Göttingen beginnen, das er am 27. März 1934 mit der Promotion über die „Vegetation des Meißners und seine Waldgeschichte“ zum Dr. phil. abschloss. Zu dieser Arbeit wurde er angeregt durch Gustav August Ludwig David Schellenberg (1882‒1963), der seit 1925 an der Universität Göttingen lehrte und zusammen mit Richard Harder (1888‒1973), der seit 1932 Professor in Göttingen war, als Gutachter fungierte.

Das Hauptwerk Pfalzgrafs galt dem Meißner und seiner Vegetation. Für seine umfangreiche Dissertation berücksichtigte er nicht nur die Geschichte der floristischen Erforschung, sondern trat auch in Kontakt zu dem Jenaer Bryologen Theodor Carl Julius Herzog (1880‒1961), Reinhold Hermann Hans Tüxen (1899‒1980) in Hannover, dem Begründer der heutigen modernen Pflanzensoziologie und schließlich Fritz Theodor Overbeck (1898‒1983) in Frankfurt, einem der Begründer der Moorbotanik und Pollenanalyse Mitteleuropa. Von der Preußischen Moor-Versuchs-Station in Bremen konnte er sich für die Mooruntersuchungen sogar einen schwedischen Kammerbohrer ausleihen.

Im Mai 1933 wurde Hans Pfalzgraf Mitglied der NSDAP und gleichzeitig Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbundes. Seit 1935 war er ehrenamtlicher Naturschutz-Beauftragter des Landkreises Witzenhausen. Im Oktober 1937 wurde er zum Ortsgruppenleiter der NSDAP Witzenhausen ernannt und im gleichen Jahr auch Ratsherr der Stadt Witzenhausen. Ein im Frühjahr 1939 an ihn gerichtetes Angebot, die Rektorenstelle der Mittelschule in Bleicherode am Harz zu übernehmen, konnte er nicht annehmen, da es von der Partei abgelehnt wurde. Von April 1940 bis Juli 1943 wurde er von der Mittelschule unter Wahrung seines Beamtenverhältnisses beurlaubt und wirkte stattdessen als Fachlehrer für Botanik, Zoologie und Geologie an der Deutschen Kolonialschule Wilhelmshof bei Witzenhausen. (Die Deutsche Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe GmbH wurde im Mai 1898 mit Witzenhausen als Sitz der Schule gegründet. Nachdem 1942 fast alle Schüler und Dozenten zum Kriegsdienst eingezogen und die Schulgebäude seit dem Frühjahr durch die Wehrmacht teilweise zur Einrichtung eines Reservelazaretts beschlagnahmt worden waren, wurde der Schulbetrieb 1944 endgültig eingestellt.) Von August 1943 bis April 1945 war Hans Pfalzgraf wieder als Rektor an der Mittelschule Witzenhausen tätig

Nach der Besetzung Witzenhausens am 7. April 1945 wurde Hans Pfalzgraf als Parteifunktionär von den amerikanischen Truppen verhaftet. Die folgenden Jahre bis Mitte Februar 1948 verbrachte er in den von der britischen Armee (auf Einrichtungen ehemaliger Kriegsgefangenenlager) betriebenen Internierungslagern in Westfalen, zunächst bis Herbst 1946 im „Camp Roosevelt“ bei Hemer, danach im Internierungslager Eselheide in der Senne bei Stukenbrock und schließlich im Lager Staumühle in der Senne bei Hövelhof.

Ab Februar 1948 wohnte der arbeitslose Hans Pfalzgraf in Stade, wohin seine Ehefrau im Oktober 1947 zu der dort als Lehrerin lebenden Tochter gezogen war. Im Juli 1949 erfolgte in Kassel ein Spruchkammerverfahren, bei dem Hans Pfalzgraf durch den „ersten öffentlichen Kläger bei der Berufungskammer Kassel“ auf Grund des Gesetzes zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 angeklagt wurde, der Gruppe der Belasteten (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer) anzugehören. Bei den Spruchkammern war die Beweislast umgekehrt und der Betroffene musste die Schuldvermutung entkräften. Zahlreiche Zeugenaussagen bescheinigten Hans Pfalzgraf jedoch keinerlei Belastungen, weshalb er lediglich als Mitläufer eingereiht wurde und zu 100 D-Mark Sühnebetrag sowie zur Übernahme der Verfahrenskosten verurteilt wurde.

Nach weiterer Arbeitslosigkeit wurde Hans Pfalzgraf schließlich von Ostern 1951 bis zur Pensionierung Ostern 1953 erneut als Lehrer eingestellt, und zwar an der Mittelschule in Stade. Nach dem Tode seiner ersten Frau heiratete Hans Pfalzgraf am 25. September 1954 die als Deutsch- und Englisch-Lehrerin ebenfalls an der Mittelschule tätige Helene Elisabeth Fischer (* 8. Dezember 1901 Stade, † 7. Juni 1985 Stade).

Hans Pfalzgraf starb am 10. August 1955 in Hannover-Linden an einem Krebsleiden und wurde am 15. August in Stade begraben.

Die Herbarbelege Hans Pfalzgrafs zu Moosen und Höheren Pflanzen liegen in KASSEL und GOET. Tagebuch-Aufzeichnungen von Exkursionen zum Meißner, Meißnervorland und um Witzenhausen aus den Jahren 1911 bis 1925 konnten von Ernst Baier (1919‒2007) für „Die Pflanzenwelt des Altkreises Witzenhausen mit Meißner und Kaufunger Wald“ ausgewertet werden. Über ihren Verbleib ist nichts bekannt.

Von Pfalzgraf beschriebene Pflanzen:


Nach Pfalzgraf benannte Pflanzen:


Publikationen:
Pfalzgraf: Vegetation Meissner
  • 1925: Zur Flora des Höllentales. ‒ Werratal 2(5): 72‒75, Eschwege.
  • 1928: Die Eibe in Hessen. ‒ Naturforscher 4: 175‒176, Berlin-Lichterfelde.
  • 1934: Als Geologe quer durch den Meißner. ‒ Kurhess. Landeszeit. Nr. 28, Kassel.
  • 1934: Die Vegetation des Meißners und seine Waldgeschichte. ‒ Feddes Repert. Sp. Novarum Regni Veget., Beiheft 75: 1‒80, 4 Tafeln, Dahlem bei Berlin. [auch: Lotze, Witzenhausen.]
  • 1937: Zur Geschichte des Wein- und Obstbaues im unteren Werratal. ‒ Hessische Heimat 1: 40‒41, Marburg.
  • 1950: Schützt den Meißner. ‒ Werraland 2(1): 1‒3, Eschwege.
  • 1950: Die Weinberge im unteren Werratal und ihre Pflanzenwelt. ‒ Werraland 2(2): 21‒22, Eschwege.
  • 1951: Die Pflanzenwelt der Werraufer. ‒ Werraland 3(2): 23‒24, Eschwege.
  • 1952: Der Meißner ‒ ein Kleinod unserer Heimat. ‒ Werra-Rundschau vom 12. 4. 1952, Seite 3, Eschwege.
  • 1952: Die Eibe. In: Werraland. ‒ Merian-Monatshefte 4(12): 43, Hamburg.
  • 1953: Das Höllental und seine Pflanzenwelt. ‒ Werraland 5(1): 8‒10, Eschwege.
  • 1953: Die Eiben im Werratal. ‒ Unser Wald 2: 19, Frankfurt/Main.
  • 1954: Die Flora der Bergwiesen auf dem Meißner. ‒ Werraland 6(1): 3‒4, Eschwege.
  • 1955: Volkstümliche Pflanzennamen im Werratal und Meißnervorland. ‒ Werraland 7(3): 34‒35, Eschwege.
  • 1956: Die Pflanzenwelt der Dolomitfelsen des Werralandes. ‒ Werraland 8(2): 24‒25, Eschwege.
Publikationen über Hans Pfalzgraf:
  • Lipser H. 1954: Pfalzgraf, Hans, Die Flora der Bergwiesen auf dem Meissner. ‒ Das Werraland, 6, Heft 1, Eschwege, 1954. ‒ Hess. Florist. Briefe 3(31): 4, Offenbach/M.-Bürgel.
  • Sauer H. 1955: Dem Gedenken an Dr. Hans Pfalzgraf. ‒ Hess. Florist. Briefe 4(47): 4, Offenbach/M.-Bürgel.
  • Sauer H. & R. Wegener 1955: Dr. Hans Pfalzgraf zum Gedächtnis. ‒ Werraland 7(3): 36, Eschwege.
  • Künzel A. 1983: Dr. Hans Pfalzgraf ‒ ein Leben für Heimat, Schule und Wissenschaft (1888‒1955). ‒ Werraland 35(3): 53, Eschwege.
  • Hotzler F. 1996: Hans Pfalzgraf ‒ ein Erforscher unserer heimischen Flora. ‒ Werraland 48(3): 55‒56, Eschwege.
  • Gold H. H. 2004: Die Vegetation des Meißners und seine Waldgeschichte. ‒ Werraland 56(3): 55‒56, Eschwege.
Sonstige Quellen:
  • Grimme A. 1925: Beiträge zur Laubmoosflora Niederhessens und seiner Grenzgebiete. ‒ Abhandl. Ber. Ver. Naturk. Kassel 56: 125‒141, Kassel.
  • Grimme A. 1936: Die Torf- und Laubmoose des Hessischen Berglandes. ‒ Abhandl. Ber. Ver. Naturk. Kassel 58: 1‒134, Kassel. [auch: Feddes Repert. Sp. Novarum Regni. Veget., Beiheft 92: 1-134, Dahlem bei Berlin.]
  • Grimme A. 1958: Flora von Nordhessen. ‒ Abhandl. Ver. Naturk. Kassel 61: 1‒212, Kassel.
  • Wagenitz G. 1982: Index Collectorum Principalium Herbarii Gottingensis. ‒ Systemat.-Geobotan. Inst. Georg-August-Univ. Göttingen, Göttingen. 214 Seiten. [125].
  • Wagenitz G. 1988: Göttinger Biologen 1737‒1945. Eine biographisch-bibliographische Liste. ‒ Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. 228 + [1] Seiten.[137].
  • Gregor T. 1992: Hessische Magerrasen. ‒ Bot. Natursch. Hessen, Beiheft 4: 50‒64, Frankfurt am Main. [63].
  • Frahm J.-P. & J. Eggers 2001: Lexikon deutschsprachiger Bryologen. ‒ Selbstverlag Norderstedt. 672 Seiten. [373].
  • Baier E, C. Peppler-Lisbach & V. Sahlfrank 2005: Die Pflanzenwelt des Altkreises Witzenhausen mit Meißner und Kaufunger Wald. 2. Aufl. ‒ Schriften Werratalverein Witzenhausen 39: 1‒463, Witzenhausen. [420‒421].
  • Oppitz U.-D. 2019: Bibliographie des Werra-Meißner-Kreises. 3. Aufl. ‒ Histor. Ges. Werraland, Eschwege. 1145 Seiten. [181, 186, 218, 867].

HHSTAW Bestand 520/22 Nr. 22517 (Spruchkammern Kassel, Fallakte Hans Pfalzgraf)
Archiv und Stadtgeschichte Stade (K. Grothe, K. Viol)
Universitätsarchiv Göttingen (K. C. Fröhler)
Werratalverein (S. Forbert)
Stadtarchiv Eschwege (Y.-E. König)
Stadtarchiv Hannover (J. Schmidt)

Abbildung: © Werratalverein, Eschwege
Handschrift: Herbaretikett von Hans Pfalzgraf, Beleg in GOET

© BVNH 15. Dezember 2020